TANZVERMITTLUNG

Ästhetische Bildung durch zeitgenössischen Tanz

Ästhetische Bildung lässt sich als einen unabgeschlossenen, transformatorischen Prozess der Selbst- und Weltaneignung des Subjektes verstehen, welcher auf dem Umlernprinzip der Erfahrung beruht. Dabei zeichnet sich die im Mittelpunkt stehende ästhetische Erfahrung dadurch aus, dass das Subjekt sich seiner sinnlichen und vernünftigen Erkenntnisfähigkeit bewusst wird, die Abhängigkeit in beiden von beiden entdeckt und somit auch auf beiden Ebenen Zugang zu bisher verborgenem Wissen finden kann. Es entsteht die Möglichkeit, das Selbst- und Weltbild als ein relationales Gebilde wahrzunehmen und zu verstehen und Zusammenhänge zwischen dem eigenen Verstehen und Handeln, Wissen und Können zu begreifen.

Insofern ist ästhetische Erfahrung respektive Bildung keinesfalls als eine Art Zugabe zu betrachten, sondern muss als ganzheitliche Bildung des Menschen verstanden werden, die herkömmliche Begriffe von Wissen und Bildung hinterfragt.

Ein wesentliches Charakteristikum des zeitgenössischen Tanzes liegt darin, Körper und Bewegung von ihrer Physis her zu begreifen. Verbunden mit experimentellen, aleatorischen und anderen improvisatorischen Verfahren zur Generierung und Komposition von Bewegung steht die sinnlich-wahrnehmbare Präsenz des Tanzes im Vordergrund. Im Zuge der rezeptiven oder praktischen Aneignung, die zunächst an die Ebene der sinnlichen Erkenntnis appelliert, eröffnen sich wiederum Interpretationsangebote, die zur verstehenden Auseinandersetzung auffordern und den Prozess der subjektiven Bedeutungskonstitution erfahrbar machen. Sich der Einordnung entziehend und stattdessen Irritationen auslösend, provoziert der zeitgenössische Tanz Erfahrungen, die sowohl auf sinnlicher wie auch auf vernünftiger Ebene gemacht werden und damit die Möglichkeit ästhetischer Erfahrung eröffnen.

Um den Boden hierfür zu bereiten, bedarf es einer Vermittlungspraxis, welche sich an den wesentlichen Merkmalen des – nicht nur ästhetischen – Erfahrungsprozesses orientiert und die Ebenen von Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion gleichermaßen berücksichtigt und ineinandergreifen lässt.